Lena Vöcklinghaus

Das wird man* ja wohl (noch) fragen dürfen?!1

– Frau Hannah Arendt, Sie sind die erste Frau, die in dieser Reihe porträtiert werden soll; die erste Frau, wenn auch freilich mit einer nach landläufiger Meinung höchst männlichen Beschäftigung. Sie sind Philosophin. Darf ich von meiner Vorbemerkung zu dieser ersten Frage kommen: Empfinden Sie Ihre Rolle im Kreise der Philosophen, trotz der Anerkennung und des Respekts, den man Ihnen zollt, als eine Besonderheit, oder berühren wir damit ein Emanzipationsproblem, das für Sie nie existiert hat?

– Ja, ich fürchte, ich muss erst einmal protestieren. Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen. Mein Beruf, wenn man davon überhaupt sprechen kann, ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin. Ich bin auch nicht, ich glaube nicht, in den Kreis der Philosophen aufgenommen, wie Sie freundlicherweise meinen. Aber wenn wir auf die andere Frage zu sprechen kommen, die Sie in der Vorbemerkung anschnitten: Sie sagen, es ist landläufig eine männliche Beschäftigung. Nun, es braucht ja nicht eine männliche Beschäftigung zu bleiben. Es könnte ja sein, dass auch eine Frau mal eine Philosophin wird.

– Ich halte Sie für eine solche.

– Ja, also, dagegen kann ich nichts machen. Aber ich selber darf doch auch eine Meinung äußern. Und meine Meinung ist, dass ich keine Philosophin bin.

Ich habe diese Anfangssequenz von Günter Gaus' Zur Person: Hannah Arendt schon oft gesehen, aber ich kann mich jedes Mal wieder unbändig darüber freuen, wie Hannah Ahrendt Gaus' Themenwahl so firm und freundlich den Mittelfinger entgegen streckt. Seit ich letzten Monat begonnen habe, für meine Doktorarbeit die Gespräche auf Autor*innenlesungen zu analysieren, denke ich wieder mehr über das Video nach. Weil Ahrendt die Reduktion aufs Frausein so gekonnt abschmettert und diesem Abschmettern ja einiges an Übung vorausgehen muss. Und je mehr ich mein eigenes, zeitgenössisches Material analysiere, desto deutlicher wird mir, dass auch über fünfzig Jahre später eine solche Übung vonnöten ist. Die Fragepraxis, die Gaus anwendet, hat offensichtlich all den Feminismenwellen trotzen und bis in die heutige Zeit überdauern können.

Nicht-weiße, nicht-männliche Autor*innen werden auf der Bühne immer noch ganz selbstverständlich nach ihren persönlichen Erfahrungen als nicht-männliche, nicht-weiße Autor*innen gefragt. Genauso wie Gaus behaupten Moderierende auch heute noch eine Ausnahmesituation aufgrund einer Zugehörigkeit. Damit reduzieren sie ihr Gegenüber erstens auf ihre Zugehörigkeit. Und zweitens fordern sie sie dazu auf, private Erlebnisse aufgrund dieser Zugehörigkeit preiszugeben. Was bedeutet, dass nicht-weiße, nicht-männliche Autor*innen sich auch heute noch darauf vorbereiten müssen, solche Fragen zu parieren. Also mit ihrem eigenen Gesprächsentwurf die Bühne betreten müssen, der Fragen von der persönlichen Ebene möglichst elegant und freundlich auf die Sachebene zerrt. Oder, wie es Olivia Wenzel in einem der ersten Texte dieser Reihe formuliert hat:

"wenn nicht weiße autor*innen von rassistischen und sexistischen erlebnissen auf lesereisen und in interviews berichten, wenn sie von unangenehmen labelungen zu pr-zwecken erzählen und vom gefühl, für die trendy diversifizierung des literaturbetriebs benutzt zu werden, könnte ich kotzen. um mich gegen solche situationen zu wappnen, brauche ich strategien. anderthalb jahre bevor mein buch erscheint, lange bevor es überhaupt geschrieben ist, befasse ich mich damit, schlachtpläne zu seiner und damit meiner verteidigung zu ersinnen."

Ich habe Wenzels Sätze im Hinterkopf, wenn ich beobachte, wann Moderierende auf Autorenlesungen mit ihren Fragen auf die Sachebene zielen und wann auf die persönliche. Und ich beobachte viele dieser Mischfragen, wie sie Gaus stellt. Fragen, die sich vermeintlich auf der Sachebene bewegen, in Wirklichkeit aber nach persönlichen Erlebnissen fragen. Meistens werden diese Fragen an Besonderheiten der Autor*innen festgemacht, wie beispielsweise am Kratzen an Tabuthemen, am Parallelleben als gewerkschaftsgründende Kurierfahrerin, an der eigenen Hundefarm oder am zwanzig Jahre zurückliegenden Auftritt bei Wetten-Dass. Das ist unterhaltsam und macht Sinn, da die Lesung selbst Konzentrationsleistung fordert und anschließendes Plaudern wesentlich publikumsfreundlicher ist als maximal anspruchsvolle literaturwissenschaftliche Interpretationen. Als Zuschauerin mag ich Lesungen, bei denen ich zwischendurch auch mal mit privaten Informationen gefüttert werde.

Bei nicht-weißen, nicht-männlichen, nicht-heterosexuellen Schreibenden tauchen Moderierende jedoch oft gar nicht erst in die Untiefen der Mediathek, um das besondere Hobby auszugraben. Stattdessen wird nach dem Erstbesten gegriffen, das die Moderation als Besonderheit wahrnimmt, und das beinhaltet auch 2019 noch beeindruckend häufig die Tatsache, es mit jemandem zu tun zu haben, der oder die nicht weiß, nicht männlich und/oder offen nicht heterosexuell ist. Was dazu führt, dass ein Teil der Autoren in der Summe vor allem nach ihren Werken und zusätzlich ein wenig nach ihren Biografieschlenkern befragt wird, während der andere Teil der Autor*innen ein wenig nach ihren Werken befragt und vor allem auf der Bühne zur Außenseiterin gemacht wird.

Dabei spielen natürlich auch die unangenehmen Labelungen und die trendy diversifizierung, von denen Olivia Wenzel schreibt, eine Rolle. Autor*innen werden ja oft gerade wegen ihrer Labelung gecastet, gerade in der Hoffnung, sie mögen über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen, sie mögen das mitspielen, was Max Czollek „Integrationstheater“ nennt. Aber selbst wenn eine Person einwilligt, als Integrationstheater-Darstellende auf der Bühne zu sitzen, etwa in einer Veranstaltung zu Migration oder mit einem Roman, der Migrationserfahrungen thematisiert, ist es immer noch der Autorin überlassen, ob sie nur zum Thema Migration Stellung nehmen oder auch persönliche Erfahrungen schildern möchte. Sie nach persönlichen Erlebnissen zu fragen kommt mir immer etwas vor, als bestünde jemand auf Sex, weil ich die Einladung auf einen Drink angenommen habe. Und ich bin ehrlich verwundert, dass innerhalb dieser Logik immer noch so viel gefragt wird. Als wäre das mit dem Drink nicht klar.

Wenn ich selbst moderiere, gebe ich mir große Mühe, nicht Teil dieser Fragepraxis zu sein. Wie wahrscheinlich viele jüngere Moderierende führe ich eine innere Liste, anhand derer ich meine Moderationskärtchen auf potenzielle Patzer überprüfe und damit auch auf Rassismen, Sexismen und andere Diskriminierungen, die mir bei der Vorbereitung unterlaufen sein könnten, etwa Klassen-, Armut- oder Altersdiskriminierung. Ich erweitere diese Liste mit jeder Moderation, aber auch durch Artikel zum Literaturbetrieb, die Ungleichheiten thematisieren, Hashtags, Gespräche, Rückfragen zur Bühnensituation und natürlich durch Fehlleistungen, die ich auf fremden Lesungen beobachte. Ich erweitere die Liste also so, wie ich moderieren gelernt habe, und das schmiegt sich bestimmt ebenfalls an den Normalfall an.

Die meisten Moderierenden werden angefragt, weil sie durch Engagement in der Literaturvermittlung, im Journalismus, als Literaturwissenschaftlerin, durch eine hörbare Stimme in den sozialen Medien oder eine konsequente Präsenz auf den wichtigen Literaturveranstaltungen ihrer Stadt auffallen. Die wenigsten Moderierenden besitzen eine formelle Ausbildung, in der sie mit anderen Literaturschaffenden darüber diskutiert haben, welche Moderationspraxis welche politischen und ästhetischen Implikationen mit sich bringt. Soweit ich weiß, lernen Moderierende immer noch, indem sie anderen Menschen beim Moderieren zuschauen und sich merken, was sie gut finden, in der Hoffnung, dies in der nächsten lampenfiebergetränkten Bühnensituation anwenden zu können. Wir lernen durch Anschauung und durch Übung, implizit und mimetisch, was uns dafür anfällig macht, die in den Praktiken enthaltenen Diskriminierungen fortzuschreiben. Vor allem, wenn wir selbst nicht betroffen sind, wenig Umgang mit Betroffenen haben und in unserem Bereich wenig über Diskriminierungen geredet wird, so wie es im Literaturbetrieb noch vor ein paar Jahren der Fall war. Und überlassen es so den Betroffenen, im Vorhinein Strategien zu erarbeiten, wie sie souverän auf der Sachebene bleiben und sich nicht runterziehen lassen, wenn sie konsequent als >insert category< statt als Schreibende angesprochen werden.

Ich wünsche mir eine offenere Diskussion über Moderationsfragen, um die Verantwortung fürs Wohlfühlen auf der Bühne ein bisschen gerechter zu verteilen. Und ja, natürlich, Moderieren ist eine Kunst und lässt sich nicht auf einen schnöden Leitfaden reduzieren; und ja, meinetwegen gibt es auch Formate, in denen sich Menschen nicht wohlfühlen, sondern streiten sollen, auch wenn ich persönlich mich ja besser streite, wenn ich mich wohlfühle. Aber Ponyhof hin oder her, ich will meine Kunst in einen möglichst diskriminierungsfreien Raum bauen. Deshalb hier meine Liste. Sie kommt mir privat vor, ähnlich privat wie die Schüttelübung, die ich vor Moderationen mache, damit meine Stimme im Bauch bleibt. Einiges finde ich so selbstverständlich, dass ich überlegt habe, ob ich es überhaupt aufschreiben soll. An anderen Punkten beiße ich mir jedes Mal die Zähne aus. Viele Punkte sind aus Fehlern entstanden und viele fehlen, und ich wäre ehrlich froh um Ergänzungen. Auch, weil Moderieren Spaß macht und geteiltes, öffentliches Wissen die Moderationspraxis verbessern und leichter zugänglich machen könnte. Auch, weil am Ende dieser Bewegung stehen könnte, dass Schreibende lieber Bühnen beträten und dort insgesamt interessantere Fragen gestellt bekämen. Aber auch, weil ich dabei auch lerne, Menschen anzusprechen, ohne sie zu verletzen. Und das nützt ja nicht nur auf der Bühne.

fortführbare Spiegelstrichliste für eine Moderationsvorbereitungs- und -praxisliste die die Fortschreibung gesellschaftlicher Ungleichheiten vermeidet:

• die Namen aller Anwesenden vor mich hinsagen, bis ich sie richtig und flüssig aussprechen kann.

• die Podiumsgäste vorher per E-Mail fragen, worüber sie gerne reden würden und worüber sie überhaupt nicht reden wollen. Weil ich nicht wissen kann, ob jemand zwanzig Jahre nach ihrer Kurzgeschichte zu Flucht noch über das Thema reden will, oder lieber nur über das Bienensterben-Sachbuch reden möchte, wegen dem sie eingeladen ist.

• die Texte, über die gesprochen wird, gut und mehrmals lesen und sich zu jedem einzelnen Text eine schriftliche Plotzusammenfassung, Beschreibung der Schreibverfahren und eine Haltung erarbeiten, ähnlich, als würde ich eine Rezension schreiben. Wenn ich das auf der Bühne aus dem Ärmel schütteln muss, habe ich keine Kapazitäten für spontane schlaue Fragen.

• bei meiner Anmoderation und der Vorstellung der Autor*innen genau überprüfen, was ich dort herausstelle. Wenn ich die Autorin gleich am Anfang als >insert category< rahme, bleibt diese Rahmung in den Köpfen der Zuschauenden und wird auch bei Fragen, die nicht auf >insert category< abzielen, aktiviert. Sollte >insert category< nicht nötig sein für die Lesung, lasse ich >insert category< also weg.

• ist >insert category< im Rahmen der Lesung enthalten, etwa wenn die Veranstaltung als feministische Veranstaltung gelabelt ist und/oder das Werk einer Autorin Genderfragen thematisiert, spreche ich über Gender als Thema, überlasse es aber der Autorin, ob sie über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen möchte.

• ich frage niemals nach persönlichen Erfahrungen, die potenziell traumatisch sein können, also nach sexualisierter Gewalt, Fluchtgeschichte, Kindheit, Familiengeschichte, usw. Auch nicht, wenn das Werk es nahelegt, sozusagen einen Minirock trägt. Ein Minirock ist einfach kein Argument.

• sind mehrere Gäste auf dem Podium, achte ich darauf, alle Beteiligten in ihrer Expertise zu adressieren, und nicht etwa die Männer in ihrer Expertise und die Frau als Frau.

• Manchmal gehe ich alle Fragen nochmal durch und checke, ob ich sie erstens auch einem weißen Mann stellen würde und zweitens, ob ich selbst gerne beantworten würde. Wenn nicht, muss ich weiter denken.

• ich entwickle ein Gefühl dafür, was mein eigenes Verhalten in der Machtposition auf der Bühne mit dem Podium macht. Wenn ich mich selbst als Frau positioniere, baut das eine implizite Erwartung an mein Gegenüber auf, mit der ich spielen kann, wenn ich das möchte, mit der ich aber auch unter Druck setzen kann. Wenn mir diese Selbstkategorisierung einfach so passiert, etwa indem ich von meinen eigenen Erfahrungen mit Sexismus spreche, mache ich es der Autorin mir gegenüber schwer, sich dazu nicht zu verhalten.

• ähnlich liegt es mit Verschwesterungsversuchen. Es kann interessant sein, wenn zwei Frauen gemeinsam die Abschaffung des Patriarchats planen und die Bühnensituation es den Zuschauenden verbietet, ihre Empörung darüber auszusprechen, und so kurz situativ die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kippen. Aber auch sowas spreche ich mittlerweile lieber ab.

• wenn ich Kritik am Werk habe, anderer Meinung bin oder über die Entscheidung zu einem Schreibverfahren diskutieren will, dann tue ich das. Kein Wattepacken aufgrund von Kategorien.

• ich mache meine Arbeit nicht wieder zunichte, indem ich vor oder nach der Lesung meinen Podiumsgästen gegenüber erwähne, dass ich versuche, mich antirassistisch und antisexistisch vorzubereiten. Weil ich die Podiumsgäste dann ja doch wieder als >insert category< anspreche, und, noch anstrengender, sie gleichzeitig dazu bringen will, mich für etwas zu loben, das eigentlich selbstverständlich sein sollte.

• >wird fortgeführt<